
aus: "Wenn's in Wien weihnachtet", Christine Schäffer, Edition Mokka, ISBN 978-3-902693-63-1
Weihnachten war in diesen Jahren oft eine Zeit in der einem die eigene Not besonders deutlich wurde. Aber das Fest konnte auch durch kleine Freuden erhellt werden und gab so Hoffnung. Grete Witeschnik-Edlbacher zum Beispiel wurde 1908 in Wien geboren. Sie wuchs in einem bürgerlichen Haushalt auf. Der Klassen- und Schulwegkamerad des jüngeren Bruders, Richard Sirsch, der den Spitznamen „Bengele" hatte, weil er so dünn war, starb im Alter von 17 Jahren an Lungentuberkulose.
"Am Anfang des Ersten Weltkrieges begann meine Volksschulzeit. Für meinen Bruder hieß es ein Jahr später mit Schiefertaferl und Griffel zu beginnen. Bald hatte er einen lieben Klassen- und Schulwegkameraden. Er hieß Richard und war sehr lustig, lachte gerne, brachte andere zum Lachen. Richard war sehr mager – dadurch wirkten seine Bewegungen abgehackt, sehr hölzern, wie man sagt. Es war nicht verwunderlich, daß wir ihn bald mit der Figur aus einem unserer Kinderbücher verglichen. Diese Figur war aus Holz geschnitzt, wurde lebendig und vollführte allerhand Streiche! Wahrscheinlich war er ein Vorfahre von „Pinocchio". In unserem Buch hieß das Männlein „das hölzerne Bengele".
Richard war unser hölzernes Bengele! Einmal zur Weihnachtszeit, der Krieg wütete schon einige Jahre, lud Bengele uns ein zu seinen Eltern. Wir gingen mit Mutter hin. Bengele nahm uns die Mäntel ab und führte uns ins Wohnzimmer. Ah! Wir starrten den Christbaum an! Er war über und übervoll mit in rosafarbenes Seidenpapier gewickelten Bonbons. Wir hatten heuer nicht ein Stück von den gewickelten Bonbons. Mutter hatte selbstgebackene Ringerln aufgehängt, die nach Brot schmeckten! Woher nur nahm Familie Sirsch diese Herrlichkeiten? Es gab ja kein Bröckerl Zucker zu kaufen!
Bengele ging zum Baum, nahm zwei Stück herunter und gab jedem von uns eines in die Hand. Vorsichtig öffneten wir das Papier. Statt der erwarteten Kostbarkeiten kamen kleine Holzstückchen heraus. Unsere gespannten Gesichter verwandelten sich in enttäuschte. Dann brachen wir alle in Gelächter aus, am meisten lachte Bengele! Er hatte Holzleisten zersägt und so seinen Christbaum geschmückt. Er war trotzdem heiter und zufrieden.
Unsere Kindheit fiel also in den Ersten Weltkrieg. Wir bekamen nie sehr viel – aber wir waren glücklich! Manche Sachen waren sicher von größeren Kindern aus dem Freundeskreis zu uns gelangt. Ein Weihnachtsfest war besonders einfach. Mein Bruder und ich bekamen je ein Buch. Groß und schön gebunden in rotem Leinen, lagen die Werke unterm Baum.
Wir haben damals viel gelesen, Mutter, Bruder und ich abwechselnd, das machte uns viel Freude. In den Büchern, die eigentlich gebundene Monatshefte waren, gab es viel Lehrreiches, Vergnügliches und Interessantes. Kam ein Bild, wurde die Lesung unterbrochen und das Bild besprochen."
Dass man sich etwas am Heiligen Abend schenkt, wurde erst Anfang des 19. Jahrhunderts in Wien üblich. Vor allem beschenkte man natürlich die Kinder, allmählich erhielten aber sogar die Erwachsenen kleine und größere Präsente.
Die Kinder bekamen – in den Familien, die es sich leisten konnten – vor allem Spielzeug. Die Mädchen bekamen Puppen und kleine Gerätschaften, die sie für ihre Rolle als Mutter und Hausfrau vorbereiten sollten. Die Burschen wurden mit einer Trommel, Flinte oder einem Säbel beschenkt – Dingen, die militärische Anklänge hatten.
Im Jahr 1836 erzählt Frances Trollop, wie sie das Weihnachtsfest bei der Fürstin Metternich erlebt hat:
„Einstweilen aber umstand ein schöner Kreis von Kindergesichtern, strahlend vor Wonne, den großen Tisch, wo sie in dem einen Augenblick den funkelnden Glanz des Baumes betrachteten und in dem andern mit noch größerem Entzücken jedes ein Geschenk von dem reichen Überfluss an Spielsachen erhielt, die entweder den Tisch bedeckten oder rings um ihn aufgestellt waren. Alsbald wurde die Scene noch lebendiger. Hier wurde ein großes hölzernes Pferd durch seinen glücklichen Besitzer in lebhafte Bewegung gesetzt. Dort war ein Kegelspiel in voller Tätigkeit. Auf der einen Seite ließ ein kleiner Prinz in vollem Kutscherkostüm seine Peitsche über die Köpfe seiner hölzernen Pferde knallen und auf der andern machte ein liebliches kleines Mädchen Bekanntschaft mit einer prächtigen Puppe. Winziges Teegeschirr und Tischgeschirr, Kabinette und Bibliotheken en miniature und eine Welt von andern Dingen, an die ich mich nicht namentlich zu erinnern vermag, war schnell unter eine so glückliche Schar niedlicher Geschöpfe verteilt, als nur je an einem Christabende blickten und vor Freude strahlten."
Natürlich blühte mit diesem neuen Brauch des Schenkens der Handel auf: Bereits 1827 gab es in Wien sieben Kinder- und Holzspielzeughersteller und die Puppenindustrie wuchs ebenfalls kräftig. Die Puppen damals waren aus Leder gemacht und mit Sägemehl gefüllt. Ihre Gesichter waren aber nicht die von Kindern, so wie heute, sondern die von Erwachsenen. Die Köpfe der Puppen konnten vor allem durch die Erfindung von Papiermaché leichter und realistischer geformt werden. Ihre Haare waren entweder aufgemalt oder Perücken aus echtem Menschenhaar – denn Kunsthaare gab es noch nicht!
Zu den berühmten Unternehmen zählte dabei die „k.k. erbländisch-privilegierte Berchtesgadner Holz- und Kinderspielerei-Waren-Fabrik Johann Haller". Diese Fabrik, von der sogar die Kaiserfamilie ihre Waren bezog, führte lackierte Holzfiguren, selbstfahrende Equipagen, Schreibutensilien und noch vieles mehr.
Auch sehr beliebt bei der Wiener Jugend waren kleine Lokomotiven oder Figuren zum Ausschneiden und Anmalen.
Ende des 19. Jahrhunderts wurden dann Laterna magica oder Baukästen beliebt, aber auch ein gutes, lehrreiches Buch war nie verkehrt, zum Beispiel über Geografie.
Die Erwachsenen konnten sich Uhren, Angorafelle oder amerikanische Goldfüllfedern gönnen, wenn sie denn genug Geld hatten. Da die meisten Bürger das nicht konnten, sich aber ebenfalls eine Kleinigkeit erlauben wollten, hofften sie auf günstige Restposten, zum Beispiel bei Stoffen.
Man muss bedenken, dass es in ärmeren Familien eher ein gutes Essen gab oder ein selbstgemachtes Spielzeug aus Holz. Mehr konnten sie sich nicht leisten. Genau diese Diskrepanz zwischen Armen und Reichen zeigte Friedrich Schlögel energisch auf in seinem Buch "Wiener Blut" von 1873 (Text gekürzt und behutsam modernisiert):
"Es gibt doch Tage im Jahre, wo ich ein Millionär sein möchte. Damit will ich nun, so lächerlich es auch vielleicht klingt, es gleich gestehen, dass ich mich gerade nicht sehne, es alle Tage zu sein, weil ich diesen Zustand für langweilig halte. Ich habe mich eben als schreiendster Kontrast eines Millionärs mitunter doch zu gut amüsiert und ohne Million zu glücklich befunden, um mich so ganz ohne Bedenken in die Epidermis dieses oder jenes Coupons-Potentaten der Ringstraße zu wünschen, aber – wie gesagt, einzelne Tage gibt es, an denen ich, und wenn ich mir selbst auch nicht einmal ein Paar Sardinen oder anderen Luxus vergönnen würde, doch für mein Leben gerne mit einer gemästeten Brieftasche bewaffnet aus dem Haus treten möchte. Zum Beispiel am Christabend.
Mein Gott! Ich kenne das leider ja aus eigener Erfahrung. Keine traurigeren 'heiligen Abende', als die ich in meinen Bubenjahren selbst verlebte und die wir Kinder in schlecht erwärmter Stube, bei Kartoffeln – natürlich ohne Butter – 'feierten'. Es ist, glaube ich, keine Schande, zu gestehen, dass man von armen Eltern abstammt, die sich ihr Stück Brot wohl ehrlich, aber auch sauer verdienten und denen der einzige Himmelssegen, dessen sie sich erfreuten, ein Zimmer voll Kinder, genug zu sinnen und schaffen machte. Wir Kleinen waren schon so 'gescheit', dass uns das Freudenspektakel in nächster Nähe nicht entging. Wir sahen recht gut all die Vorbereitungen, die der Nachbar oder gar die 'Hausfrau' traf, um dem höchsteigenen Nachwuchse die vorgeschriebene Freude zu machen. Wir sahen dann, als es finster ward, wie ringsum der ganze Apparat in Tätigkeit kam, wie das schöne Fest eigentlich inszeniert wurde und wie man allenthalb die Geschenke für Alt und Jung und sogar für das Gesinde ausrichtete. Denn man gestattete uns, weil wir so artig und sittsam waren, zuzusehen, wie man anderen Freude bereitete.
Wenn dann die Stunde kam und wir pochenden Herzens des Augenblickes harrten, wo es losgehen sollte, da schickte man uns heim. Wir schlichen dann seufzend fort und begaben uns zur Mutter, die krank im Bette lag, aber wir schwiegen von all den Herrlichkeiten, die wir geschaut, denn wir erzählten nur einmal davon und nie wieder – die arme Mutter weinte zu bitterlich ...
Dann aßen wir unsere Kartoffel, aber verstohlen lugten wir, die Vorhänge lüftend, doch hinüber zu den erleuchteten Fenstern. Wir sahen, wie die Kerzchen flimmerten und wie sich Gestalten um den prächtigen Baum drängten ... dann sahen wir Geschwister uns heimlich an und zwinkerten wohl mit den Augen und ein ganz kleines, leises Seufzerchen – ein gar bescheidenes Wünschchen entstieg vielleicht unserer Brust. Aber um alles in der Welt verrieten wir nichts davon. Wir aßen nur schweigend und voller schonendem Verständnis an unseren Kartoffeln weiter.
Aber unglücklich, so recht unglücklich fühlten wir uns trotz aller momentanen Entbehrungen dennoch nicht. Auch unser 'heiliger Abend' kam, wenn auch um ein oder zwei Tage später. Wir erhielten dann immer von irgendeiner weichherzigen Familie den – zwar von allen, selbst den kleinsten Geschenken und dem bescheidensten Backwerk-Ringelchen – entblößten Weihnachtsbaum, aber die farbigen Papierstreifen hingen noch daran und ein paar Fetzen Rauschgold, da konnten wir noch eine Woche lang damit spielen und uns ergötzen.
So wuchs ich heran und das Schicksal sorgte emsig dafür, dass es an meinen nächsten Weihnachtsabenden gleichfalls nicht gar zu toll herging. Dann kamen die Jahre, wo ich ein Königreich zu den Füßen eines teuren Wesens hätte hinlegen mögen, aber dem Himmel danken musste, wenn ich im Stande war, Ziegelhausers 'Thalia' oder ein ähnliches ästhetisches Prachtwerk zu erschwingen und mir dafür den süßesten Dank aus schönen Augen und von schönen Lippen holen durfte. Und als ich endlich nach traurigster Lebensfahrt das erste Weihnachtsbäumchen zwischen meinen eigenen Pfählen selbst aufstellte und die Kerzchen anzündete und meinen Buben auf dem Arm all die flimmernde Herrlichkeit anschauen ließ, da jauchzte wohl auch zum ersten Male mein Inneres laut auf. Und wie ich so des Jammers und der Not und der Mühsal vergangener Tage gedachte, da wurden meine Augen feucht. Aber ich dankte auch Gott aus redlichem Herzen, dass er mich nun so glücklich gemacht hatte ...
Wenn ich deshalb in diesen Tagen einem abgehärmten Gesicht begegne, in dessen Kummerfurchen es zu lesen ist, dass hier eine vom Unglück niedergebeugte oder von aller Welt verlassene Seele ist, die ihr Leid doppelt fühlt, weil eben alle Welt – scheinbar – vergnügt und glücklich, aber teilnahmslos vorüberstürmt, da ist dann der Augenblick, wo ich so gerne in die Genossenschaft der Herren Millionäre mich aufnehmen lassen möchte, beim Himmel! Nur um Gutes zu tun und so manche Augen zu trocknen!
Denn es ist so entsetzlich viel Jammer mitten unter uns! Und es gibt einen Jammer, der sich nicht auf der Straße, an eine günstige Ecke postiert und laut um Mitleid winselt – das wahre Unglück, das uns, wenn wir es aufsuchen möchten, bei seinem Anblicke die Brust zusammenschnürt, bleibt daheim auf seiner Kammer und hungert und friert und fährt sich nur mit zitternden Händen über die bleiche Stirne, wenn es all das Elend überschaut, das zwischen den kahlen vier Wänden so unbarmherzig wütet.
Lügt mir darum nicht mit Eurem Wohltätigkeitssinn und prunkt nicht mit einer Unmasse edler Taten. Es geschieht wohl manches, aber wahrlich nicht allzu viel. Geht hinaus in die entfernteren Bezirke und drückt an der erstbesten Klinke, und wenn sich die Türe öffnet, seht Ihr vielleicht mehr der Not und des Mangels, als Euch lieb ist, um ausgiebige Hilfe bringen zu können.
Blickt doch um Euch, Ihr edlen Herren und Damen! Nicht, was in Lumpen gehüllt, Euch vor die Füße tritt, ist gerade das jammervollste Elend. Das Elend, das ich meine, die Not, die ich Euren weichen Herzen anempfohlen wissen möchte, schreit nicht laut um ein Almosen. In stiller Resignation hält sie mit der flehenden Bitte zurück, sie lässt nur ihren zu Boden gesenkten Blick, den scheuen Schritt, die bleichen Wangen, das reinliche, aber dürftige und fadenscheinige Kleid für sich sprechen. Die arme Näherin, die mit halbblinden Augen bei einem ärmlichen Lämpchen und dünner Wassersuppe sich die Finger wund sticht an dem Seidenkleide für Eure kostspielige Freundin; der kleine Beamte, dessen winziger Gehalt erst in acht Tagen fällig ist, aber nicht für ihn, sondern für den ungeduldigen Krämer und Fleischer; die elternlose Waise, die sich für schwere Arbeit nur trockenes Brot und einen Hundestall als Lager und weiter nichts, nicht einmal einen freundlichen Blick erkämpft – diese freudenlosen, abgekümmerten Gestalten sind meine Schützlinge. Seht, die alle drängen sich nicht an Euch heran, sie halten Euch nicht die offenen Hände und widerlichen Gebrechen entgegen, mit denen sie Euer Mitleid erkaufen wollen – aber ihr stiller Kummer und Schmerz soll lauter und dringlicher zu Euch sprechen, als das lärmende Lamento professioneller Bettler. Seht Euch in Eurer nächsten Nähe um, spornt Euer Gedächtnis an – vielleicht erinnert Ihr Euch an irgendein hilfsbedürftiges Wesen, das Eurer Milde wert ist."
Zwischen ärmeren und reicheren Familien gibt es heute natürlich immer noch Unterschiede beim Geschenkemachen, doch eine so große Not, wie Schlögel sie beschreibt, findet man zum Glück nur mehr selten. Außerdem wird mehr für Menschen in Not getan – Spendenaktionen haben um die Weihnachtszeit Hochbetrieb. Dabei wird in Wien nicht nur plump nach Spenden verlangt, ganz im Gegenteil. Einige Wiener Weihnachtsmärkte haben sich kreative Arten zu spenden überlegt, die richtig Spaß machen: Der Radiosender Ö3 bewirbt seine „Wundertüte", in die man alte Handys für den guten Zweck geben kann und "Licht ins Dunkel" arbeitet bei ihrer Anrufaktion mit Prominenten zusammen und, und, und!